Neues Urteil des BAG zur Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf

Arbeit auf Abruf bezeichnet das Arbeitszeitmodell, in dem der Arbeitgeber bei Bedarf den Arbeitnehmer zur Arbeit ruft und damit die Verteilung der Arbeitszeiten flexibel festsetzt. Hierbei ist die Mindestarbeitszeit (wonach sich auch die Mindestvergütung des Arbeitnehmers richtet) vertraglich zu regeln. Fehlt eine solche Vereinbarung, gilt kraft Gesetzes eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart (§ 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG).

Relevant ist die Mindestarbeitszeit insbesondere für die Vergütung. Ist eine höhere Dauer vereinbart als tatsächlich erbracht wird, befindet sich der Arbeitgeber regelmäßig im Annahmeverzug bzgl. der fehlenden Arbeitsleistung, sodass der Beschäftigte trotz weniger Arbeit entsprechend der vereinbarten Zeit Gehalt verlangen kann (§ 615 BGB).

Beispiel: Es ist nichts vertraglich vereinbart. Es gelten gemäß § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG die 20 Wochenstunden. Wenn nun der Angestellte nur 8h pro Woche abgerufen wird, hätte dieser dennoch Anspruch auf die als vereinbart geltenden 20 Stunden!

Folglich wird es für die Vergütung im Interesse des Arbeitgebers sein, eine geringere Arbeitszeitvereinbarung vorzuweisen und umgekehrt für den Arbeitnehmer eine lange.

Interessanter wird das Ganze dadurch, dass § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG nicht ausnahmslos gilt. Eine davon abweichende Dauer kann nämlich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden. Jedoch nur dann, wenn die gesetzliche Fiktion von 20 Stunden im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung darstellt. Es müssen objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine höhere oder niedrigere wöchentliche Arbeitszeit vereinbart.

Urteil des BAG (18.10.2023, 5 AZR 22/23) zu Abrufverhalten des Arbeitgebers und Bereitschaft des Arbeitnehmers

Naheliegend scheint es aus dem Abrufverhalten des Arbeitgebers und der Arbeitsbereitschaft des Beschäftigten eine bestimmte Zeitvereinbarung abzuleiten. Damit hat sich der Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner aktuellen Entscheidung auseinandergesetzt.

Im konkreten Sachverhalt trat die die 20-Stunden-Regelung beanstandende Klägerin 2009 in das Arbeitsverhältnis ein und 2014 wechselte ihr Arbeitgeber. Von 2017 bis 2019 arbeitete sie durchschnittlich deutlich mehr als die 20 Stunden pro Woche. Auf diesen Zeitraum stützend behauptete sie die Vereinbarung einer höheren Arbeitszeit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Anhaltspunkt für eine solche Vereinbarung sei das Abrufverhalten des Arbeitgebers und das Nachkommen der Beschäftigten. Damit beanspruchte sie eine Vergütung entsprechend der längeren Arbeitszeit auch nach 2019.

Nach dem Bundesarbeitsgericht allerdings zu Unrecht. Es sei kein hinreichender Anhaltspunkt für eine konkludente Vereinbarung einer längeren Arbeitszeit, wenn, wie vorliegend,

  • ein willkürlich ausgewählter Zeitraum,

  • lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses vorgebracht wird.

Fazit und Bedeutung für Praxis

1.)  Darlegungs- und Beweislast des Beanstandenden

Die Entscheidung bestätigt, dass die gesetzliche 20 Stunden Vereinbarung im Zweifel gilt. Der Beanstandende trägt folglich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Regelung in seinem Fall aufgrund objektiver Anhaltspunkte nicht sachgerecht ist.

2.)  Abrufverhalten und Arbeitsbereitschaft

Das Abrufverhalten und die Arbeitsbereitschaft dürfen nach der Entscheidung nicht lediglich einen selbst ausgewählten Zeitraum umfassen.

Damit ein Vorgehen gegen die gesetzliche Regelung im Einzelfall nicht schon von vornherein erfolglos ist, müsste folglich eine so lange Zeitspanne im Raum stehen, dass nicht mehr von einer ,,willkürlich ausgewählten“ die Rede sein kann. Zum Beispiel könnten folgende Indizien zum Vorteil des Einwendenden sein: Abweichende Arbeitszeiten von den 20 Stunden

  • umfassen (nahezu) das gesamte Arbeitsverhältnis,

  • schließen sich unmittelbar dem Beginn des Arbeitsverhältnisses an,

  • sind von einer erheblichen Dauer,

  • etc.

Jedenfalls erfordert jede Situation eine umfassende professionelle Einschätzung.

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