Beleidigungen als fristloser Kündigungsgrund

In seinem Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23, 2 AZR 18/23 und 2 AZR 19/23 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass ein Arbeitnehmer gegen eine fristlose außerordentliche Kündigung aufgrund stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen in privaten Chatgruppen mit sieben Mitgliedern, sich nur noch ausnahmsweise auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen kann.

In einer seit mehreren Jahren bestehenden Chatgruppe, bestehend aus anfangs sechs und letztlich sieben Mitgliedern, von denen alle ,,langjährig befreundet“ und manche verwandt waren, äußerten sich die Arbeitnehmer im vorliegenden Fall in menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Kollegen. Nachdem der Arbeitgeber hiervon erfuhr, kündigte er diese außerordentlich und fristlos.

Das Gericht merkte an, gegen eine solche außerordentliche Kündigung könne der Arbeitnehmer zwar eine Vertraulichkeitserwartung darlegen. Allerdings sei die Vertraulichkeitserwartung nur dann berechtigt, wenn es unter dem besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation geschehe. Das wiederum sei abhängig vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe, einer geänderten Zusammensetzung, einer unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums.

Bedeutung des Urteils

Durch die Entscheidung wurde die Darlegungslast an eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung in privaten Kreisen erschwert.

Beleidigungsfälle in privaten Kreisen gegen Personen aus der Arbeit

Das Urteil betrifft für den außerordentlichen Kündigungsgrund Beleidigungsfälle, die in privaten Kreisen stattfinden und sich gegen Personen aus der Arbeit richten. Es ist dabei neben Gruppenchats auch an alle anderen privaten Momente zu denken, in denen mit Menschen in irgendeiner Weise in Kontakt getreten wird.

Auch Beleidigungen von Kunden des Arbeitgebers können einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 08.04.2010 – Sa 474/09). Es ist fraglich, ob der neue Maßstab auch für diese gelten soll. Bei Kollegen und Vorgesetzten, von denen das aktuelle Urteil spricht, rechtfertigt sich die Kündigung insbesondere aus der Verletzung des Betriebsfriedens. Auch bei der Beleidigung von Kunden wird eine Loyalitätsverletzung gegenüber dem Arbeitgeber begangen, sodass es durchaus naheliegend ist, den neuen Maßstab ebenso auf Kunden anzuwenden. Zudem geht es im Urteil hauptsächlich um die Anforderungen an die Darlegung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung, die, an sich, unabhängig vom Adressaten der Beleidigung gelten sollten.

Berechtigte Vertraulichkeitserwartung

Die Worte werden im Vertrauen darauf geäußert, dass sie da bleiben, wo sie ausgesprochen wurden. Allerdings muss dieses Vertrauen auch berechtigt sein. Das heißt es muss eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung dargelegt werden. Bisher wurde insbesondere bei privaten WhatsApp-Gruppen von einem geschlossenen Teilnehmerkreis ausgegangen, der schon an sich die Vertraulichkeit berechtigt (ArbG Mainz, Urt. v. 15.11.2017 - 4 Ca 1240/17). Nun nicht mehr.

Die Darlegungslast an eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung steigt nach diesem Urteil mit

-          zunehmender Intensität der Beleidigungen,

-          der Größe der und

-          personellen Zusammensetzung der Gruppe (bzw. Nähe- und Vertrauensverhältnis),

-          einer Änderung der Gruppenzusammensetzung

-          und einer schnellen Weiterleitungsmöglichkeit des Geäußerten im genutzten Medium.

Bedeutung für andere Fälle

Noch 2021 entschied sich das LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 19.7.2021 – 21 Sa 1291/20) in einem ähnlichen Fall, in dem es um die Kündigung wegen fremdenfeindlicher und sonst menschenverachtender Äußerungen in einer kleinen geschlossenen WhatsApp-Gruppe ging, gegen die Wirksamkeit der Kündigung aufgrund einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung, obwohl diese Person in einer Einrichtung für Geflüchtete arbeitete. Stattdessen wurde das Arbeitsverhältnis, dessen Fortsetzung durch das Bekanntwerden der Äußerungen als unzumutbar galt, nach § 9 KSchG unter Festlegung einer Abfindung gerichtlich aufgelöst. Nach der neuen Rechtsprechung könnte sich ein Beschäftigter nicht mehr so leicht auf die Vertraulichkeit berufen und noch eine Abfindung abkassieren.

Durch das aktuelle Urteil lässt sich ableiten, dass wenn schon ,,kleine“ Chatgruppen mit sieben Mitgliedern nicht geschlossen genug sind, dies erst recht für den bisher umstrittenen Fall von sozialen Netzwerken gelten muss. Ebenfalls das Betätigen des ,,Gefällt mir“-Buttons bei Beiträgen könnte, angesichts des engeren Verständnisses vom vertraulichen Kreis, in der Zukunft schwerer gewichtet werden als bisher (z.B. in ArbG Dessau-Roßlau, Urt. v. 21.03.2012 - 1 Ca 148/11) und eher eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Bei 2er Chats wird es auf das Vertrauensverhältnis ankommen, das auch die Schwere der Äußerungen tragen muss, wobei hier auch an § 9 KSchG zu denken ist.

Mündlich Ausgesprochenes im Privaten z.B. auf einer Party vor vielen Leuten oder Fremden, zu denen der Arbeitnehmer kein dem Gewicht der Beleidigung entsprechendes Vertrauensverhältnis haben durfte, stellt ebenfalls einen außerordentlichen Kündigungsgrund dar (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.01.2017 - 12c K 2610/16.PVL). Zusätzlich könnte durch dieses Urteil auch einem Abend in einer ,,privateren Runde“ mit Freunden eine andere kündigungsrechtliche Bedeutung zukommen. Je mehr Freunde beteiligt sind, umso schwerer wird auch hier die Darlegungslast werden.

Worauf kann sich der Arbeitnehmer im Übrigen berufen?

Der Beschäftigte kann sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) berufen. Das heißt, nicht jede negative Äußerung muss eine Beleidigung sein. Allerdings umfasst Art. 5 I 1 GG nicht die ,,Schmähkritik“. Schmähkritik liegt vor, wenn ,,bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ Auch bewusst falsche Tatsachenbehauptungen stehen nicht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. (BAG, Urt. v. 07.07.2011 - Az.: 2 AZR 355/10)

Zudem kann sich der Arbeitnehmer auf eine Unverhältnismäßigkeit der Kündigung stützen. Eine langjährige beanstandungsfreie Beschäftigung entlastet ihn, wenn die Beleidigung nicht so schwer wiegt, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint. (BAG, Urt. v. 07.07.2011 - Az.: 2 AZR 355/10). Zudem könnte die Beleidigung nicht so schlimm sein, dass es ohne vorherige Abmahnung zu einer Kündigung kommen darf. Der im Betrieb oder der Branche übliche Umgangston, der Bildungsgrad, der seelische Zustand des Arbeitnehmers und die Kenntnisnahme des Beleidigten sind weitere zu berücksichtigende Kriterien.

Zurück
Zurück

Kündigung bei Arbeitszeitbetrug - auch bei Verdacht möglich

Weiter
Weiter

Home Office im Arbeitsrecht